Wattbesünners
Und auf gar keinen Fall am Ende der Welt!
Die Straße führt zum Deich, die Luft riecht nach Meer, der Wind weht zauselig um den Kopf. Ostfriesland.
Wir fahren vorbei an kleinen Häuschen ehemaliger Landarbeiter. 100 Jahre alt mit Muschelkalk gebaut und nun liebevoll restauriert. Wir sehen große Gulfhöfe mit imposanten Vorderenden, enge Warftendörfer und überall Schloote, die der Entwässerung dienen.
Das Land ringt den Menschen Arbeitsleistung ab. Schweres Brot für Mensch und Maschine in der Landwirtschaft. Doch der enorm fruchtbare Boden gibt zurück, was er kann. Und so gedeihen hier auf dem Kleiboden die besten Kartoffeln und das beste Vieh.
Rapsfelder wechseln sich ab mit fetten Weiden, auf denen sich die Schwarzbunten tummeln. Hochgewachsen. Hochzuchtgebiet. Hier wird nichts dem Zufall überlassen.
Das Pferd gehört auch in die ostfriesische Landschaft. Genau wie Kluntje in den Tee. In Ostfriesland ist die Pferdezucht immer ein notwendiges Mittel gewesen. Standen zum Beispiel die Alt Oldenburger zunächst für die Landarbeit, dienen sie in ihrer äußerst kleinen Population bis heute als kräftige warmblütige Fahrpferde.
In der Leybucht, Deutschland jüngstem Stück Land, stand vor 80 Jahren noch das Wasser. Hier hat der Mensch das Meer zurück gedrängt.
Nun gibt es Straßen, Häuser, eine Kirche und die Anwohner möchten einen Fahrradweg. Und mittendrin grasen Dutzende kleiner Ponys.
Familie Siemers betreibt auf dem Polderland der Leybucht seit 40 Jahren eine Welsh Pony Zucht. Davor hatte Enno Siemers Schweine.
Doch eines Tages sah er diesen kleinen Welsh A Schimmel und wusste, so sollen Welshponys beschaffen sein. Von da an ließ er nicht locker seinem Ziel näher zu kommen. Stuten wurden gekauft, Hengste aufgestallt. Seinem Grundsatz jedes Jahr einen neuen Hengst zu haben, ist er bis heute treu geblieben. Der Boden unter seinen Füßen ist genau wie er. Beständig und ausdauernd. Wenn im Herbst die Ponys aufgestallt werden, müssen sie gewaschen werden. Der Kleiboden würde sonst bis zum nächsten Fellwechsel im Haarkleid stecken. Man muss wissen, wie man es macht.
„Wir züchten Kinderponys“.
Stephan Siemers steht neben Leybuchts Anne, die gerade ein herrliches Stutfohlen von Windmill Elliot führt und blickt in die Herde.
Auch wir haben uns unter die Ponys gemischt. Werden beschnuppert und aufgefordert den Mähnenkamm zu kraulen. Stephan erzählt uns, wie das ist mit den kleinen Hengstfohlen. Sie müssen schon „dastehen“. So wie der kleine Leybuchts Clinton aus der Leybuchts Amazing vom Leybuchts Checker. Er weist schon die Stuten an. Fordert Aufmerksamkeit, fein im Umgang, weiß, wer er ist. So wird es ein Junghengst mit Perspektive. Enno Siemers nutzt hier oft die 3er Regel. Gucken nach 3 Tagen, 3 Wochen oder auch nach 3 Monaten.
Die Fohlen sind alle vorbestellt. Das ist nicht erst seit Corona so. Nur die Preise haben sich verändert. Und die Sicht auf die Farben. Cremello, Falbe oder Palomino, Ponyhengste wie der 2016 geborene Penymorfas Bailey haben viel zu tun.
Bailey kam als Fohlen aus UK. Er hatte Glück, stieg aus und fraß gleich weiter. Stephan Siemers berichtet, Speditionstransporte von dort sind für die kleinen Welsh A Fohlen nicht immer einfach. Oft müssen sie eine Zwischenstation einlegen, werden mit anderen Größeren gefüttert und müssen sich dann hinten anstellen. Ein Fohlen, welches auf Umwegen ankommt, braucht manchmal Jahre, um diese Reise zu kompensieren.
Die momentanen Transportpreise lassen auch Familie Siemers gerade durch die Einzelpferdpauschale noch genauer schauen, was vielleicht als zukunftsträchtig mit in den heimischen Stall kommt. Dennoch werden die Verkaufsveranstaltungen auf der Insel gerne besucht, um auch dem Anspruch immer wieder gerecht zu werden, sich weiter zu entwickeln. Stephan Siemers ist mit den Zuchtlinien aufgewachsen. Er weiß genau was er will, welches Pedigree für seinen Zuchtbetrieb passt und welche Wünsche seine Kunden haben. Das Interieur muss zu 100 Prozent stimmen. Aber auch das Fundament der Welsh A muss so sein, dass es mühelos einen kleinen Erwachsenen tragen kann. Dazu gehört ein schönes Röhrbein, genau so wie die Hufe und die angepassten Linien. Familie Siemers legt besonderen Wert auf all diese Kriterien. Und sie mögen die arabischen Köpfchen. Mit Shorebrooks Caribbean Summer ist ein Junghengst eingezogen, der einen etwas anderen Kopf-Typus verkörpert. Auch er gefällt den Züchtern, die beste Blutführung mit hervorragendem Potential verbinden möchten.
Hochgehandelt werden diese kleinen Perlen in alle Welt verkauft. Nach Südkorea hat es schon mal 3 Wochen gedauert, bis Familie Siemers den Anruf erhalten hat, dass das Pferdchen gut angekommen sei.
Neben dem Verkauf mancher Deckhengste bietet die Verpachtung eine weitere Option. Der aktuelle Sieger der Weser Ems Körung in Vechta, Leybuchts Ladykiller steht diese Saison bei Familie Kohl. Auch Familie Siemers hat Fremdhengste auf Station, wie den Welsh B Hengst Störtebeckers Paco, einem Halbbruder von Störtebeckers Dorkas, der verkauft in den Niederlanden als Dressurpony unterwegs ist.
Das Aufstallen von Fremdhengsten oder auch das Abgeben eines eigenen Deckhengstes erfordert sehr viel Vertrauen als Grundlage einer solchen geschäftlichen Freundschaftsbeziehung.
Die Frage nach KB bei den Welsh A wird immer deutlicher. Bis jetzt hat das Gestüt Leybucht den Samenversand noch nicht im Programm, aber mit dem Wissen, dass diese Entwicklung an ihnen nicht vorüber gehen wird.
Familie Siemers wird bei den jährlich 80 Bedeckungen immer um Rat gefragt. So fallen dann die Topfohlen auch aus den Fremdstuten, wie ein hochgehandeltes, cremefarbendes Stütchen mit 2 blauen Augen vom Bailey.
„Man muss, um Fortschritt zu erzeugen, auch manchmal in der Zucht einen Schritt zurückgehen.“
Spätestens beim Vortraben und Laufenlassen sehen und wissen wir, mit Blick auf die Mutterlinie, was Stephan Siemers meint und warum die beiden Hengste Leybuchts Checker WE und Leybuchts Landon WE in Vechta so die Körungen gerockt haben.
Der Tee, aber auch der Kaffee dampft in den Tassen, im Reiterstübchen ist kein Platz mehr an den Wänden und auf dem Gebälk. Schärpen, Schleifen und Pokale zeigen die Erfahrung und die kontinuierliche Teilnahme an den Terminen der Zucht und des Sports. Gern sitzen Vater und Sohn im Anschluss solcher Veranstaltungen bei den traditionellen Züchterabenden und genießen das gemeinsame Gespräch mit ihren Kollegen.
Heute sitzen wir am Tisch mit 3 Generationen Siemers. Wir sind Kollegen, Kaffeegäste und freudige Ponyhoftouristen zugleich. Stephan Siemers hat viel zu erzählen und ist voller Eindrücke.
Zwischendurch ergänzt Enno Siemers etwas kopfschüttelnd aber stolz: Er hätte nie gedacht, dass er einmal so einen Betrieb nur mit Welsh Ponys führen würde.
Die Hoffnungen ruhen jetzt auf der International Show in Aachen. Eine besondere Jungstute ist schon im Familienkreis nominiert.
Watt mooi!
Wir sind nach 4 Stunden mit den Welsh A verzaubert.
Einmal lassen wir uns noch an der Nordsee den Wind um die Nase pusten, das Krabbenbrötchen und den Backfisch schmecken, bevor es heißt Abschied nehmen, aus dem Land der schiefen Bäume und tiefen Gräben. Vielen Dank an Familie Siemers für die Mühe, die wir machen durften. Wir sind uns sicher, dass unsere kleine Abordnung aus Hannover das nächste Mal in Begleitung vieler weiterer Welsh Liebhaber mit dem Bus kommt!
V.r.n.l.: Jana Pollmann, Sabine Schäm, Ulrike Kuhlmann, Nicole Thees
Fotos: N.Thees, U.Kuhlmann, A.Schwarzenegger